Issue 01
Sonja Rychkova

Interview mit Sonja Rychkova, ein Portrait der jungen Malerin in ihrem Studio an einem warmen Tag im August.

Interview und Fotos:
Ruth Maren Neubert
Frankfurt der 23 . August 2025

SONJA RYCHKOVA
 geboren 1998 in Darmstadt
Studierte an der HfG Offenbach Malerei bei Professor Heiner Blum und Mike Bouchet
wohnt aktuell in Frankfurt am Main.

RUTH MAREN NEUBERT
Kunst, Interview

Sonjas Atelier mitten im Frankfurter Hochhausjungel ist ein langer Raum, ausgekleidet mit weißer Malerfolie. Das Sonnenlicht blendet mich etwas beim eintreten, man hört die Menschen und Autos auf der Straße. Sonja gibt mir eine Cola Zero, sie ist eiskalt. Wir setzen uns auf ihre leuchtend-lila Couch, ich breite meine Zettel um mich herum aus und gebe ihr ein paar Formulare zum unterschreiben bevor wir beginnen.

SO

So professionell! Ich hatte mal einen Dreh mit einem Sender, eine kleine Doku über junge Künstlerinnen – das war so schlimm. Zum Glück hatte der Videograf diese Einwilligung nicht dabei, so konnte ich mein Einverständnis zurückziehen.
Dieser Typ war frech. Er war Redakteur und Videograf und hat mich damals in meinem Atelier in Offenbach interviewt. Irgendwann wollte ich etwas nicht beantworten, und er warf mir vor, ich sei zu zickig. „Am Ende denken die Zuschauer, was das für eine ***** ist.“ Kannst du dir das vorstellen?
Danach sind wir nach Kranichstein gefahren, wo ich aufgewachsen bin. Auf dem Weg kamen auch die ganze Zeit Kommentare seinerseits, bei denen ich mich richtig zusammenreißen musste. Ich habe mir die ganze Zeit gedacht: „Wir fahren nur noch nach Kranichstein und dann sind wir endlich fertig.“ Also hab ich ihm vor Ort alles gezeigt, die Gegend, die Orte an denen ich viel Zeit verbracht habe. An einer Haltestelle meinte er zu mir, ich solle sagen: „Hier habe ich vorher gewohnt, ich habe es rausgeschafft, und die anderen sind immer noch hier.“ – Da war bei mir vorbei. Nie im Leben würde ich sowas sagen.

RU

Es scheint, als wäre er mit einer vorgefertigten Storyline zu dir gekommen und hätte versucht dich da reinzupressen, nach dem Motto Vom Armen Girl zum Nachwuchstalent.

SO

Ja, das habe ich dann auch gemerkt. Als er einen Monat später mit dem Vorschnitt kam, bin ich aus allen Wolken gefallen. Da war Olexesh mit mir zusammengeschnitten, weil er auch aus Kranichstein kommt. Ich liebe Olexesh, aber das hat alles absolut nicht gepasst. Zum Glück konnte ich dann meine Einwilligung zurückziehen, und hab seiner Vorgesetzten alles gemeldet.

RU

Da sieht man mal wieder was für Idioten teilweise in Räumen sind, in die man selbst noch nicht gekommen ist. Ich hab so oft das Gefühl gehabt, es gäbe Spaces, da kommen nur Genies rein. Bis ich dann in solchen Räumen saß und gemerkt habe, dass das ganz normale Menschen sind, die alle mit Wasser kochen.

SO

Man muss einfach den Mut haben, solche Räume zu betreten. Oft macht man sich vorher viel zu viele Gedanken und hält andere für übermenschlich. Am Ende sind es normale Leute – und wenn man die Chance nutzt und sich traut, kann daraus sehr viel entstehen. Natürlich muss man auch was dafür inhaltlich beisteuern, nur Mut reicht nicht aus aber ist trotzdem ein wichtiger Teil. Just Do It, trifft es gut. Bzw. ich sage mir immer „Von Nichts kommt Nichts“.

„Oft macht man sich vorher viel zu viele Gedanken und hält andere für übermenschlich.“

Sonja Rychkova in Studio - Plot Projects / Ruth Maren Neubert
Im Studio (2025)
RU

Zurück zum Thema. Deine Arbeit Smile Now Cry Later, das war die erste Arbeit von dir, über die auch recht viel geschrieben wurde.

SO

Das war meine erste Solo Show bei Ruttkowski (Köln: April – Juni 2024)

RU

In deinem Ausstellungstext wird davon gesprochen, dass du bei der Arbeit in L.A. inspiriert warst auf Basis von deinem eigenen Aufwachsen im Ghetto.
Wurde das Wort Ghetto hierbei bewusst gewählt?

SO

Der Begriff Ghetto hat für mich einen persönlichen Bezug, da ich in einem Viertel aufgewachsen bin, das oft so genannt wurde. Für mich steckt darin nicht nur Stigma, sondern auch Erinnerung an Zusammenhalt und Identität. Gerade weil der Begriff schnell missverstanden werden kann, habe ich bewusst mit Francesco Ortega, Dozent für Chicano Studies in Las Vegas, zusammengearbeitet. Er hat den Prozess begleitet und den Text verfasst, wodurch eine Perspektive entstanden ist, die den Begriff nicht abwertend, sondern als kulturell prägend versteht – ähnlich wie die Chicano barrios. Es war mir wichtig, dass die Einordnung und der Ausstellungstext nicht von der Galerie stammen, sondern von jemandem mit echter Expertise und einem tiefen Verständnis für verschiedene soziale Realitäten. Francesco hat das auf eine sehr schöne und treffende Weise umgesetzt. Besonders bedeutend war für mich, dass jemand aus der Lowrider-Community diesen Rahmen setzt – um Authentizität zu gewährleisten und Missverständnisse oder vorschnelle Vorwürfe kultureller Aneignung zu vermeiden, ein Begriff, der heute leider oft oberflächlich und ohne fundiertes Wissen verwendet wird.

„Ich habe mich oft geschämt, dass wir kein Geld hatten, und mir gewünscht, deutsch zu sein, weil ich das auch mit Wohlstand assoziiert habe.“

RU

Aber wie kam es dann zu Smile Now Cry Later?

SO

Ich bin in Kranichstein in der untersten sozialen Schicht aufgewachsen. Ich habe mich oft geschämt, dass wir kein Geld hatten, und mir gewünscht, deutsch zu sein, weil ich das auch mit Wohlstand assoziiert habe. Ich kam auch jeden Tag aus dem Kindergarten und hab mir blonde lockige Haare, blaue Augen und einen deutschen Nachnamen gewünscht. Ich habe selten Freunde mit nach Hause genommen, weil mir das so tief saß. Deshalb war Aufrüstung durch Kleidung ein Thema für mich – durch Kleidung und Haltung. Das ist ein Tool, das man gut nutzen kann, und darum geht es auch in meinem bisherigen Werk.
Migranten werden oft in einen Ort gesteckt, der dann sozialer Brennpunkt oder Ghetto genannt wird. Aber am Ende leben dort einfach Menschen – sozial benachteiligt, meist mit Migrationshintergrund.

Irgendwann habe ich einen Aufsatz von Ortega gelesen, in dem er schrieb, dass Lowrider- und Chicano-Kultur oft falsch verstanden werden – es gehe immer um Gewalt, Kriminalität und Gangs. Das spielt mit, aber man vergisst die Schönheit dieser Kultur, in der Menschen Stärke und Verbundenheit finden. Das wird einfach gerne stigmatisiert.

SO

Als ich seine Arbeit las, konnte ich mich mit vielen Punkten identifizieren. Bei den Chicanos ist Kleidung auch sehr wichtig – sie zeigt Zugehörigkeit und gibt Stärke. Das war ähnlich zu meinem Aufwachsen. Meine beste Freundin und ich haben Kleidung als Tool genutzt, uns in der Gesellschaft zu positionieren. Ich wollte schon immer nach Amerika, also bin ich hingeflogen. Zwei Wochen war ich da, länger ging finanziell leider nicht zu dem Zeitpunkt. Vor Ort habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Es war einfach schön! Ich habe mich mit ein paar Leuten angefreundet, ein paar fand ich dabei so stark, die hatten viel zu erzählen. Und dabei dachte ich mir – die will ich malen! Mit einem Gemälde hält man die Zeit und den Moment fest, und das habe ich dann auch getan.

RU

Quasi eine Dokumentation. Hast du noch Kontakt?

SO

Ja zu einigen! Wir schreiben immer wieder auf Instagram, ich will unbedingt wieder hin. Der Austausch war sehr schön, viel Neues aber auch viele Parallelen.

„Das Produzieren hat Spaß gemacht, aber die Recherche war schrecklich.“

RU

Ich fand deine Quellen bei „Perpetual Motion Maschine“, deiner letzten Arbeit toll, Hannah Arendt, Eisenhower und Foucault, was für ein Mix!
Ich wünschte ich hätte mehr Zeit und Energie mit solchen Themen und Texten zu befassen. Ich lese aktuell gefühlt vier Bücher gleichzeitig und bekomme keines fertig.

SO

Danke! Ich bin Anfang des Jahres nach Abu Dhabi auf die IDEX Rüstungsmesse geflogen um Research für meine letzte Arbeit zu machen. Kriegsmaschinerie und Rüstung. Es gut getan mal anders zu arbeiten. Nicht zu malen, sondern mit dem Medium Skulptur und Sound zu arbeiten. Gemalt wäre mir das Thema zu stumpf gewesen. Das Produzieren hat Spaß gemacht, aber die Recherche war schrecklich. Das hat mich echt runtergezogen. Wir stumpfen aktuell so ab. Krieg ist Background Noise geworden.

RU

Liest du Arendt und Co. auch in deiner Freizeit, oder auch andere Sachen? Ich versuche angestrengt leichtere Lektüre zu finden.

SO

Meine beste Freundin hat mir vor kurzem das Buch von Emrata geschenkt – sehr gut. Ich glaube, jede Frau kann zu den Themen darin relaten. Und man kann es schnell lesen. In ihrem Fall ist es extrem, weil sie so viel Exposure hat, aber jede Frau hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen.

perpetual motion maschine (2025) by Sonja Rychkova: Interview with Plot Projects
Perpetual Motion Maschine (2025) S.R.

„Ich kaufe ihr Bild, dann geht sie mit mir essen“

RU

Es sind zumindest häufig die gleichen Stigmata – genau wie Videografen, die dich nicht ernst nehmen und sich unprofessionell verhalten. Man muss trotzdem professionell bleiben und drüberstehen. Glaubst du, das ist bei dir auch Thema? Vermeintliches Pretty Privilege oder das Urteil, dass du als attraktive Frau weniger kompetent bist? Das ist ja gerne eine Annahme im beruflichen Kontext.

SO

Ich denke, das war bei vielen Menschen ein Thema. Ich habe auch schon den Vorwurf bekommen, meine Sammler seien Anwälte, die sich eine hübsche Künstlerin „einkaufen“ wollten – im Sinne von „Ich kaufe ihr Bild, dann geht sie mit mir essen“. Das war nie der Fall – 50 % meiner Käufer sind queer. Es gab eine Zeit mit vielen solchen Unterstellungen – das hat mich runtergezogen. Wenn man anfängt zu haten und zu mobben, muss man sich bewusst sein, dass das eine Konsequenz sein kann.
Nicht jeder hat gute Freunde oder Ansprechpersonen, um das zu verarbeiten. Das ist richtig gefährlich. Man kann mit Wörtern, Menschen töten. Ich finde auch zum Beispiel krass, das Justin Bieber noch lebt. Er war so jung als das alles losging und hat wahrscheinlich kaum gecheckt was abgeht. So viel Hate, wie der abbekommen hat und weiterhin bekommt ist erschreckend.

RU

In dem Bezug verstehe ich auch Britney und Pamela total. Ich habe das Gefühl Britney hat mental einfach aufgegeben. Pamela hats irgendwie geschafft, was ich über alle Maßen beeindruckend finde. Aber ich habe das Gefühl, Britney geht es gar nicht gut – du kannst mir nicht erzählen das der Druck von damals nichts damit zu tun hat.

SO

Wenn ich später gut Geld verdiene will ich eine Anti-Mobbing Stiftung gründen.

RU

Im Bezug auf „später“ – ich habe in meiner Recherche gelesen, dass dein Großvater Bildhauer war. Und mit „Perpetual Motion Maschine“ bist du erstmals weg von der Leinwand in den Raum gegangen. Ist Bildhauerei das Endziel?

SO

Ich wusste als Kind, dass mein Opa Bildhauer war, aber erst jetzt verstehe ich, was er wirklich gemacht hat.
Meine Familie redet nicht viel darüber, aber mein Vater hat mir letztes Silvester Fotos geschickt. Die Monumente meines Opa stehen noch immer in ganz Russland verteilt.
Ich habe die Bilder meinem Prof. Mike Bouchet gezeigt, und sein erster Kommentar war, dass er viele Parallelen zu meiner Arbeit sieht. Die Formate, Verzerrung, starke Posen.
Ich habe ihn nie kennengelernt, aber ich glaube, ich hätte viel von ihm lernen können. Das ist schade.
Als ich Kunst studierte, dachte ich schnell, Bildhauerei würde der „Endgegner“ – dafür fehlt mir noch das Geld bzw. der finanzierte Auftrag. Bronze in den Mengen ist teuer. Ich freue mich schon auf meine ersten Skulpturen.

Bilder aus Russland
Interview: Plot Projects & Sonja Rychvoka
Im Studio (2025)